Nr. 753

SENAT

SONDERSITZUNG 2020-2021

Aufgezeichnet im Präsidium des Senats am 7. Juli 2021

INFORMATIONSBERICHT

ERSTELLT

im Namen des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten, Verteidigung und Streitkräfte (1) zum Thema Welcher strategische Kompass für die Europäische Union?

von Ronan LE GLEUT und Hélène CONWAY-MOURET,

Senatoren

(1) Zusammensetzung des Ausschusses: Christian Cambon , Präsident; Pascal Allizard, Olivier Cadic, Olivier Cigolotti, Robert del Picchia, André Gattolin, Guillaume Gontard, Jean-Noël Guérini, Joël Guerriau, Pierre Laurent, Cédric Perrin, Gilbert Roger, Jean-Marc Todeschini , Vizepräsidenten; Hélène Conway-Mouret, Joëlle Garriaud-Maylam, Philippe Paul, Hugues Saury , Sekretäre; François Bonneau, Gilbert Bouchet, Marie-Arlette Carlotti, Alain Cazabonne, Pierre Charon, Édouard Courtial, Yves Détraigne, Nicole Duranton, Philippe Folliot, Bernard Fournier, Sylvie Goy-Chavent, Jean-Pierre Grand, Michelle Gréaume, André Guiol, Alain Houpert, Gisèle Jourda, Alain Joyandet, Jean-Louis Lagourgue, Ronan Le Gleut, Jacques Le Nay, Vivette Lopez, Jean-Jacques Panunzi, François Patriat, Gérard Poadja, Isabelle Raimond-Pavero, Stéphane Ravier, Bruno Sido, Rachid Temal, Mickaël Vallet, André Vallini, Yannick Vaugrenard, Richard Yung .

WESENTLICHE PUNKTE

WESENTLICHE FESTSTELLUNGEN UND EMPFEHLUNGEN

? Die laufenden Diskussionen zum Strategischen Kompass, dem zukünftigen strategischen Dokument der Europäischen Union bis 2030 und von struktureller Bedeutung für deren Sicherheit, sind den Bürgern Europas so gut wie nicht bekannt .

Die nationalen Vertretungen, d. h. die Parlamente der Mitgliedstaaten wurden bei diesem Prozess übergangen , trotz der tiefgreifenden Konsequenzen für deren Zukunft. Um dieses Versehen zu beheben, soll mit dem vorliegenden Bericht die breite Öffentlichkeit informiert und gewarnt werden , da es sich um eine komplexe Materie handelt, die mit großen Herausforderungen und hohen Risiken einhergeht. In Zukunft gilt es, die Parlamente in die regelmäßige Aktualisierung des Strategischen Kompasses einzubeziehen .

? Die somit lediglich auf die Exekutive und die Experten beschränkten Arbeiten zum Strategischen Kompass wurden eingeleitet während der durch die Trump-Regierung verursachte Periode der Ungewissheit hinsichtlich der Sicherheitsgarantie der NATO für Europa. Seitdem hat die Biden-Regierung den Alliierten erneut den Schutz der NATO zugesichert , so dass diese ihre Ambitionen bezüglich der europäischen Sicherheit und Verteidigung deutlich reduziert haben .

? Der Trumpismus ist jedoch keinesfalls tot. Und selbst wenn, stimmen die strategischen Interessen der USA nicht immer mit denen der EU überein , die sich somit um einen gewissen Spielraum und Autonomie bezüglich Sicherheit und Verteidigung im Krisenfall bemühen sollte . Außerdem tendieren die Kompetenzen der NATO zunehmend zur Resilienz , einer Domäne, der sich die EU dank des Strategischen Kompasses ebenfalls bemächtigt. Die EU muss auch weiterhin versuchen, sich mit der NATO abzustimmen, aber gleichzeitig auch ihre eigenen Prioritäten setzen.

? Der strategische Kompass soll bis März 2022, während des französischen Vorsitzes der EU (1. Halbjahr 2022), fertiggestellt werden. Frankreich spielt eine aktive Rolle beim Thema Sicherheit und Verteidigung. Unser Land zeichnet sich regelmäßig durch starke Initiativen und den Verweis auf allgemeine Prinzipien wie die strategische Autonomie aus. Das Gefälle zwischen den Ambitionen Frankreichs und denen der meisten Mitgliedstaaten ist dabei zunehmend flagrant .

? Wenn Frankreich überzeugen will, muss daher versucht werden, besser auf unsere Partner einzugehen und ausgewogene Maßnahmen mit viel Takt und Überzeugung vorzubringen. Dies gilt insbesondere für die Staaten mit einer transatlantischen Tradition, die mehr denn je zögern, auf dem Weg einer strategischen Autonomie voranzugehen. Diese Maßnahmen könnten dazu dienen:

- Die Funktionsweise und das Zusammenspiel der zahlreichen Instrumente zur Kompensation der Fähigkeitslücken der EU zu verbessern und mittels verstärkter Kooperationen eine technologische und industrielle Basis der europäischen Verteidigung (EDTIB) zu schaffen;

- Besser mit dem Prinzip der Einstimmigkeit umzugehen, dass ein großes Hemmnis darstellt, um Operationen einzuleiten, die trotz zunehmender Risiken und eines hohen Konfliktpotentials immer seltener werden;

- Die Operationen zu verbessern, indem insbesondere die militärische Befehlsgewalt in europäische Hände gelegt und die Bereitstellung von Streitkräften beschleunigt wird . So könnte beispielsweise eine erste Vorauskraft“ bestehend aus 5 000 trainierten Soldaten aufgestellt werden, um so endlich die battlegroups zu mobilisieren, die zwar 2006 eingeführt, aber nie bereitgestellt wurden und häufig nicht zur Verfügung stehen.

Diese Perspektiven wären ein substantieller Fortschritt für eine Sicherheits- und Verteidigungspolitik, die trotz sukzessiver Initiativen immer wieder an Dynamik verliert. Aus diesem Grund muss Frankreich sich für die Einführung eines Follow up-Mechanismus und eine politische Unterstützung des Strategischen Kompasses einsetzen .

? Es wird schwierig werden, diese Gratwanderung erfolgreich zu meistern. Dabei ist dies von grundlegender Bedeutung, da der strategische Kompass mit möglichen schwerwiegenden Risiken verbunden ist, so zum Beispiel, wenn er keinerlei wirkliche Dimension aufweist oder aber sich vollständig mit den Ambitionen der NATO überschneidet. Je nach Grad seiner Präzision könnte sich der Kompass im Fall einer schwerwiegenden Krise sogar als restriktives Korsett erweisen .

Empfehlungen für den französischen Vorsitz der EU

1. Betonen, dass die Europäische Union mit dem Strategischen Kompass eigene Prioritäten setzt, die sich von denen der NATO unterscheiden können.

2. Sich darauf beschränken, Maßnahmen zu unterstützen (siehe oben), die sich im Rahmen einer offenen und respektvollen Diskussion mit unseren Partnern als ausgewogen und konkret erweisen.

3. Einen Follow up-Mechanismus und eine politische Unterstützung des Strategischen Kompasses fördern.

4. Eine Aktualisierung des Strategischen Kompasses aller 5 Jahre anregen und dabei die Parlamente der Mitgliedstaaten einbeziehen.

I. EIN STRATEGISCHER KOMPASS FÜR EIN FREIES UND STARKES EUROPA

Die ersten Jahre dieses Jahrhunderts sind geprägt durch die Herausbildung neuer Bedrohungen (Dschihad, Cyberspace, Weltraum, Hybrid“), Initiativen von Mittelmächten mit destabilisierenden Absichten (Türkei und Iran) und einen derartigen Aufschwung Chinas, das damit zunehmend die weltweite Führung der USA gefährdet wird. Deren Asien-Allianz“ stellt damit die Prioritäten der NATO bezüglich der Sicherheit Europas in Frage.

Gleichzeitig werden Operationen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) seltener . Dabei sind sich die EU-Mitgliedstaaten einig bezüglich der Notwendigkeit, auf kollektiver Ebene mehr zu tun. Aber sie haben nach wie vor Mühe, präzise und operativ in einem Hoheitsbereich zu agieren, der Einstimmigkeit voraussetzt, wo Interventionen und Investitionen mit hohen Kosten verbunden sind und die NATO an ihrer Ostflanke als einzig zuverlässiger Partner gilt.

A. ANGLEICHUNG DER ANALYSEN

Um die konstruktiven Überlegungen zur Sicherheit der EU neu zu initiieren, hat Deutschland 2019 die Erstellung eines Strategischen Kompasses“ angeregt, eine Art Weißbuch für die Sicherheit und Verteidigung der EU, dessen Abfassung wir im Bericht zum Thema Europäische Verteidigung, die Herausforderung der strategischen Autonomie“ 1 ( * ) empfohlen hatten. Diese unter dem deutschen Ratsvorsitz der EU im zweiten Halbjahr 2020 begonnene und unter dem französischem Ratsvorsitz im ersten Halbjahr 2022 abzuschließende Initiative organisiert auf höchster Ebene den Austausch zwischen Experten und Vertretern der Exekutive sämtlicher Mitgliedstaaten . Dieser Diskussion ging eine auf der Grundlage der Beiträge ihrer Nachrichtendienste erstellte Bedrohungsanalyse voraus. Dieses Ende 2020 durch den Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD) fertiggestellte Verschlussdokument ist nicht politisch anerkannt , damit keine Prioritäten bei Bedrohungen gesetzt werden müssen, die von den einzelnen Ländern ganz unterschiedlich bewertet werden.

Auf dieser Grundlage wurde der nachfolgende Dialog zu 4 Hauptthemen geführt: Krisenmanagement“ und Resilienz“ bezüglich der Ziele sowie Fähigkeiten“ und Partnerschaften“ bezüglich der Mittel. Mit diesen um die Themen Resilienz und Partnerschaften erweiterten strategischen Überlegungen will man umfassend auf die neue Bedrohungslage reagieren. Bei dieser Übung wird explizit vermieden, die strategische Autonomie“ und die Souveränität“ der EU zu befördern, da diese Begriffe bestimmte Mitgliedstaaten noch immer irritieren. Ausgehend von den Beiträgen der Mitgliedstaaten wird der EAD im zweiten Halbjahr 2021 eine Synthese erstellen, damit die finale politische Diskussion im März 2022 abgeschlossen werden kann.

Welche Hoffnungen kann diese Initiative vor dem Hintergrund der neuerlichen Hinwendung der USA und der NATO zu den internationalen Beziehungen wecken?

B. ZWECKS WIEDERBELEBUNG DER GSVP ...

Die Ergebnisse der jüngsten Initiativen zur Wiederbelebung der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik , seitens des Vertrags von Lissabon (2009) und der Globalen Strategie der Europäischen Union“ (2016) blieben hinter den Erwartungen zurück. Wenn es an einer gemeinsamen Vision mangelt, können sämtliche Prozesse früher oder später aufgrund der Regel der Einstimmigkeit blockiert werden.

1. Ein ambitionierter Schwerpunkt bezüglich der Fähigkeiten, der jedoch hinter den Erwartungen zurückbleibt

Die EU verfügt über zahlreiche Tools, um ihre Fähigkeitslücken zu kompensieren und eine europäische verteidigungstechnologische und industrielle Basis (EDTIB) mittels Förderung von Kooperationen zu erzielen. Die einzelnen Mitgliedstaaten richten sich jedoch bei ihren Investitionen nach ihren strategischen Interessen beziehungsweise denen der NATO. Darüber hinaus gehen sie auch Partnerschaften außerhalb der GSVP ein, wie zum Beispiel zwischen Frankreich und Deutschland (luftgestützte Kampfsysteme der Zukunft, Panzer der Zukunft) beziehungsweise dem Vereinigten Königreich (Lancaster House). Mit dem Ergebnis, dass Russland, das 4 Mal weniger für Verteidigung ausgibt als die EU, die GSVP an der Ostflanke aus Sicht bestimmte Mitgliedstaaten diskeditiert .

a) Erster Ansatz: das Potential jedes der verfügbaren Tools besser ausschöpfen

• Der Fähigkeitenentwicklungsplan (CDP) setzt Prioritäten bezüglich der Verteidigungsfähigkeiten der EU. In einer ersten Phase definiert der Militärstab der Europäischen Union (EUMS) auf der Grundlage des Mechanismus zur Entwicklung von Fähigkeiten (CDM) die für den reibungslosen Ablauf von 5 Beispielszenarien erforderlichen militärischen Ressourcen. Durch den Abgleich dieses Bedarfs mit den Ressourcen, die die Länder für die EU bereitstellen können, erstellt der EUMS ein Inventar der Fähigkeitslücken, auf dessen Grundlage die Europäische Verteidigungsagentur (EDA) den Plan zur Entwicklung von Kapazitäten erstellt.

Aber die Mitgliedstaaten deklarieren hier lediglich einen geringen Teil ihrer Kapazitäten, gegenüber in etwa der Hälfte im Rahmen des NDPP, dem Prozess zur Verteidigungsplanung der NATO. Diese nicht gemeldeten Kapazitäten, die einen Vorbehalt gegenüber der GSVP zum Ausdruck bringen, verringern die Zuverlässigkeit des Fähigkeitenprozesses der EU . Das anspruchsvollste Szenarium des HLGP, das mit der Bereitstellung von 60 000 Soldaten nicht wirklich glaubwürdig ist, trägt zusätzlich zur Definition unerreichbarer Vorgaben bei . In Frankreich plädiert das Verteidigungsministerium für ein realistischeres 6. Szenarium , das an die Operation Serval angelehnt ist. Dabei geht es um die Bereitstellung von lediglich 5 000 Soldaten mit hohen Vorgaben an deren materielle Ausstattung für den Kampf in einem schwer zugänglichen Umfeld.

• Der von der EDA vorgelegte Koordinierte Jahresbericht zur Verteidigung ( CARD für Coordinated Annual Review on Defence ), vermittelt einen kompletten Überblick über die Ausgaben und Investitionen der Mitgliedstaaten, einschließlich der Forschung. Er gibt Einblick in die Verteidigungsplanung und die Entwicklung der Kapazitäten und verweist gleichzeitig auf Mängel bezüglich des Fähigkeitenentwicklungsplans (CDP), um so die diesbezügliche Kooperation zu vereinfachen. Im November 2020 haben die europäischen Verteidigungsminister den ersten CARD verabschiedet , der mit dem Verweis auf eine kostspielige Fragmentierung“ 55 Möglichkeiten der multinationalen Kooperation im militärischen Bereich und 6 Fähigkeiten der neuen Generation als Prioritäten“ auflistet. Dabei muss befürchtet werden, dass der parallel dazu verlaufende Prozess des Strategischen Kompasses eine gewisse Abwartehaltung begünstigt.

Die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit (SSZ bzw. PESCO ), Ende 2017 lanciert, dient der Anhebung der Verteidigungsausgaben, in Übereinstimmung mit dem 2014 definierten Ziel der NATO, dass alle Alliierten jeweils 2% des BIP für die Verteidigung aufbringen, davon 20% an Investitionen, und der Strukturierung von gemeinsamen Projekten für Ausrüstungen und Operationen zwecks Steigerung der europäischen Kapazitäten. Die PESCO, die auch kleinere Länder miteinbezieht, umfasst bereits 47 solche Projekte. Die Bilanz ist jedoch durchwachsen und weist sehr unterschiedliche Realisationen auf, was eine strengere Auswahl der Projekte erforderlich macht. Die 2020 eingeführte Öffnung für Drittstaaten setzt ebenfalls entsprechende Wachsamkeit voraus. Dies ist insbesondere bei der ITAR-Regelung ( International Traffic in Arms Regulations ) der USA der Fall, um zu verhindern, dass Material mit amerikanischen Komponenten ohne Zustimmung verkauft wird.

• Mit dem neuen Europäischen Verteidigungsfonds (FEDEF ) will die Kommission Investitionen in die Forschung im Bereich Verteidigung und die Entwicklung gemeinsamer Technologien und Ausrüstungen unterstützen, indem insbesondere Projekte im Rahmen der PESCO gefördert werden. Die Nicht-EU-Mitglieder haben kein Anrecht auf den Fonds. Der für den Zeitraum 2021-2027 mit 8 Mrd. € (und somit weit mehr als die Vorgängerinstrumente) dotierte Fonds ist ein wirklicher Fortschritt , dessen Erfolg jedoch unter der Tendenz zahlreicher Mitgliedstaaten leiden könnte, ihn lediglich als Verteilmechanismus zu begreifen .

b) Zweiter Ansatz: ein besseres Zusammenspiel der verfügbaren Instrumente

Der CDP enthält eine Liste von Prioritäten, die die Mitgliedstaaten setzen wollen, indem sie sich vage von einer Liste von Fähigkeitslücken inspirieren lassen, die auf der Grundlage von halbwegs realistischen Szenarien und wenig aufrichtigen Erklärungen erstellt wurde... Dieser Plan dient jedoch der Strukturierung, weshalb ein besseres Zusammenspiel der Logik der einzelnen Elemente erforderlich ist : des EUMS mit seinen illustrativen Szenarien, der Europäischen Verteidigungsagentur mit dem CDP und CARD sowie der Kommission, die über den FED industrielle Kooperationen organisiert. Dabei ist gleichzeitig den zeitlichen Vorgaben der Fähigkeitsplanung der NATO Rechnung zu tragen. Außerdem wäre es angeraten, die Elemente des Fähigkeitenprozesses der EU in die nationalen Planungen zu integrieren.

2. Ein operativer Schwerpunkt, der an Bedeutung verliert

Von insgesamt 17 laufenden Missionen und Operationen sind bei 3 militärischen (sogenannten exekutiven”) Operationen Streitkräfte einbezogen worden: bei Althea (2004), Atalante (2008) und Irini (2015). Damit bleiben 3 nicht exekutive“ militärische Operationen, bei denen es sich um Ausbildungsmissionen handelt ( EUTM ) sowie 11 zivile Missionen.

a) Erster Ansatz: Überwinden des Prinzips der Einstimmigkeit

Der gegenwärtige Notbehelf: ad hoc- Koordinierung : um schnell zu agieren, greifen die Mitgliedstaaten (insbesondere Frankreich bei Missionen wie Agénor oder Takuba) vorzugsweise außerhalb der GSVP ein. Sie bringen sich somit um deren Vorzüge (Befehlsgewalt, Finanzierung, politische Legitimierung) und die Beteiligung bestimmter Mitgliedstaaten. So sieht sich beispielsweise Deutschland, abgesehen von bestimmten präventiven Missionen, von Rechts wegen daran gehindert, an einer Operation ohne Mandat der UNO, der NATO oder der EU teilzunehmen .

Der Ansatz eines Automatismus im Fall einer Aggression : das Projekt des Strategischen Kompasses scheint einen neuen Konsens für die Klausel des gegenseitigen Beistands nach Art. 42.7 EUV herauszubilden, auf den sich bisher lediglich Frankreich im Anschluss an die Attentate in Paris im Jahre 2015 berufen hatte.

Der Ansatz einer vereinfachten Zustimmung für mehr Flexibilität : Der Art. 44 EUV ermöglicht es einem Staat, eine mit einigen anderen Partnerstaaten konzipierte schlüsselfertige“ Operation vorzuschlagen . Damit kann Zeit für Studien und Diskussionen zwischen Mitgliedstaaten zur Vorbereitung eines Konzepts für die Operation gespart werden. Ein weiterer, von Frankreich angeregter Ansatz ist jener der Kooperations-Module“, welche die GSVP einer nationalen Operation, einer europäischen ad hoc -Kooperation wie Takuba oder Agénor beziehungsweise einer Operation der NATO oder der UNO beibringen könnte.

Der Ansatz der Umgehung der institutionellen Ebene : außerhalb der GSVP und der EU favorisieren 13 Mitgliedstaaten der Europäischen Interventionsinitiative (EI2) bei ihren Überlegungen die Herausbildung einer gemeinsamen strategischen Kultur. Weitere multinationale Initiativen in Europa haben die Gründung einer schnellen Eingreiftruppe zum Ziel: Eurocorps, Deutsch-Französische Brigade (D/F Brig), Combined joint expeditionary force (CJEF), Joint expeditionary force (JEF).

Der Ansatz eines harten Kerns: Einsetzung eines Europäischen Sicherheitsrats? Da die EU-Staaten Mühe haben, sich auf Verteidigungsthemen zu verständigen, stellt sich die Frage nach der Gründung einer Avantgarde“ außerhalb des Rahmens der GSVP. Eine solche Hypothese, von Angela Merkel mehrfach unter der Bezeichnung Europäischer Sicherheitsrat“ angesprochen, fand schließlich die Unterstützung Emmanuel Macrons (gemeinsame Erklärung vom 19. Juni 2018).

b) Zweiter Ansatz: Verbesserung der Operationen und ihres Kontexts

• Verbesserung der Qualität der Missionen

Die aus den 3 EUTM hervorgehenden Streitkräfte leiden unter einer unzureichenden Ausbildung. Die zivilen Missionen hingegen zeichnen sich vor allem durch eine unzureichende Bedarfs-Expertise aus, was auf die mangelnde Ambition der beitragszahlenden Staaten zurückzuführen ist. In Afrika sind diese Lücken umso problematischer, als Russland, China und selbst die Türkei sich dort mittlerweile als Rivalen präsentieren.

• Beschleunigung der Bereitstellung von Streitkräften, indem den battlegroups endlich eine Nachkommenschaft gewährt wird

Die 2006 eingeführten Gefechtsverbände der Europäischen Union ( EU Battlegroups) umfassen jeweils 1 500 Mann und sollen immer zu zweit eine permanente militärische Präsenz sichern. Sie sind jedoch noch nie bereitgestellt worden und in der Mehrzahl der Fälle nicht verfügbar .

Eine kollektive Finanzierung über die Europäische Friedensfazilität wäre ein entsprechender Anreiz. Im Rahmen der Diskussionen über den Strategischen Kompass hat eine kleine Mehrheit von Staaten ein französisches Non-Paper unterzeichnet, das in Anlehnung an das vorstehende 6. Szenarium eine erste Vorauskraft“ anregt. Deren harter Kern könnte aus zwei großen battlegroups bestehen, mit Komponenten an Land, in der Luft und auf See.

• Bessere Finanzierung der Missionen: die Europäische Friedensfazilität (EFF)

Die für den Zeitraum von 2021-2027 mit 5 Mrd. € (außerhalb des regulären EU-Haushalts) dotierte EFF ersetzt dieses Jahr den Athena -Mechanismus, der bestimmte gemeinsame Ausgaben für die Operationen der GSVP und die Friedensfazilität in Afrika (APF) finanziert. Die FEP stellt einen Fortschritt dar bezüglich der Bereitstellung einer direkten militärischen Hilfe, einschließlich letaler Maßnahmen, wodurch ein wesentlicher Punkt der Ausbildung durch die EUTM verbessert wird.

• Europäisierung der militärischen Befehlsgewalt

Für die Befehlsgewalt der militärischen Operationen der GSVP gelten:

- entweder die Vereinbarungen von Berlin plus“ (2003) , die es ermöglichen, sich der Befehlsstruktur der NATO zu bedienen, wie es für Mazedonien und Bosnien der Fall war (und bezüglich der Operation Althea noch immer ist); ein neuerlicher Rückgriff auf diese Vereinbarungen scheint heute eher unwahrscheinlich;

- oder eine autonome Operation der Europäischen Union“ basierend auf einem nationalen Militärstab, der für jede Operation zwischen fünf berechtigten Mitgliedstaaten ausgewählt wird, was jedes Mal voraussetzt, das man sich mit der Funktionsweise der betroffenen europäischen Instanzen vertraut machen muss;

- beziehungsweise, seit 2017, für nicht exekutive militärische Operationen ein MPCC (militärischer Planungs- und Durchführungsstab), an dessen Spitze der Generaldirektor des EUMS steht.

Die drei EUTM unterstehen somit dem MPCC. Dank seiner personellen und materiellen Ausstattung ist der MPCC jedoch noch immer nicht in der Lage, seinen Aufgaben optimal nachzukommen . Der Generaldirektor des EUMS dürfte erst Ende 2021, mit einem Jahr Verspätung, eine 100%ige operationelle Fähigkeit ankündigen können. In einer zweiten Phase wäre es von Vorteil, die Aktion des MPCC auf exekutive militärische Missionen auszuweiten . Damit würde für sämtliche militärische Missionen ein Planungs-Militärstab beziehungsweise OHQ 2 ( * ) “ zur Verfügung stehen. Vor diesem Hintergrund unterstützt Frankreich den Fortbestand der einheitlichen Befehlsgewalt des EUMS und des MPCC, um so die Einheit der Überlegungen zu den Fähigkeiten und ein zufriedenstellendes Gleichgewicht zwischen dem Rat und der Kommission zu gewährleisten. Bestimmte Mitgliedstaaten wollen dies in der Tat in Frage stellen.

• Beratung der militärischen Befehlsgewalt

Der europäische Nachrichtendienst weist zahlreiche Lücken auf. Frankreich empfiehlt hier, auf Tools der elektronischen Nachrichtendienste der EU zuzugreifen, darunter auch SatCen (Analysezentrum für Satellitenaufnahmen), und die Kapazitäten zur Informationsbeschaffung zu steigern.

C. ... UND NEUDIMENSIONIERUNG DER AKTIONEN DER EU FÜR IHRE SICHERHEIT?

1. Resilienz“, ein von der Kommission unterstütztes notwendiges und einvernehmliches Ziel

Resilienz besteht darin, den Zugang zu umstrittenen strategischen Räumen zu sichern, wie den Cyberspace, den Weltraum, den Luftraum und die Meere. Dabei geht es gleichzeitig darum, unsere industrielle Abhängigkeit hinsichtlich Sicherheit und Verteidigung zu reduzieren sowie unseren Zugriff auf kritische Technologien und strategische Materialien zu stärken. Außerdem ist es wichtig, unsere wirtschaftliche, gesundheitliche und klimatische Sicherheit zu garantieren. Die Kommission, die sich nunmehr als geopolitisch“ versteht, befasst sich aktiv mit diesen Themen. Diese veränderte Dimension war bereits spürbar bei den Verhandlungen mit den Pharma-Laboren, dem europäischen Konjunkturprogramm beziehungsweise den Maßnahmen gegenüber Russland und China. Die 2020 eingesetzte GD DEFIS ( Defence industries and Space ) mit Thierry Breton an ihrer Spitze, ist emblematisch für die neue Bereitschaft der EU, ihre wirtschaftliche Stärke in strategischer Hinsicht zu mobilisieren .

2. Mit Vernunft zu pflegende Partnerschaften“

Zur Stärkung der Statur als geostrategischer Akteur gilt es, zahlreiche Partnerschaften einzugehen . Dabei kommt der NATO besondere Bedeutung zu, weshalb die Organisation stärker strukturierend für die GSVP ist als umgekehrt.

a) NATO: die zentrale Frage mit der EU lautet Wer macht was?“

• Die NATO garantiert die Sicherheit des alliierten Territoriums der EU gemäß der Klausel über die gegenseitige Verteidigung des Art. 5, der Grundlage der Allianz. Sie ist darüber hinaus auch außerhalb des Territoriums ihrer Mitglieder für das Krisenmanagement kompetent, das 1999 in ihr strategisches Konzept integriert wurde.

Die EU sollte vor dem Hintergrund einer GSVP auf dem ab 1999 in Helsinki ambitionierten Niveau bei der Krisenbewältigung in ihrem unmittelbaren Umfeld auf die NATO verzichten können. Sie kann sich in der Tat nicht der Zustimmung (so stellt sich die Türkei gegen bestimmte Operationen im Mittelmeerraum) oder der Hilfe (wenn sich die USA beispielsweise nicht engagieren wollen) sämtlicher Alliierten außerhalb der EU sicher sein. Das Potential der GSVP ist jedoch unzureichend , weshalb es häufig zu nachfolgender Rollenteilung kommt:

- Die NATO übernimmt nicht nur die Verteidigung des europäischen Territoriums, sondern auch das Krisenmanagement im oberen Spektrum (beide betreffen a priori die Ostflanke);

- Die Europäische Union antwortet auf die anderen Sicherheitsherausforderungen im Umfeld Europas - Operationen zur Stabilisierung und zum Friedenserhalt, Kontrolle der Migrationsflüsse (dieses Krisenmanagement betrifft a priori die Südflanke).

Diese Komplementarität NATO-EU muss bekräftigt und präzisiert werden, in Kohärenz mit einem realistischen Niveau an Ambitionen, was ein Beweis für die Glaubwürdigkeit einer Europa-Macht wäre, eventuell auf der Grundlage des französischen Szenarios einer ersten Vorauskraft ( siehe vorstehend ). In jedem Fall muss der strategische Kompass endlich eindeutig zum Ausdruck bringen, was die EU tun können muss, ohne jedoch eine rigide und detaillierte und somit potentiell kontraproduktive Rollenverteilung vorzunehmen.

• Neben den Berlin Plus“-Vereinbarungen ( siehe vorstehend ), muss die Beziehung zur NATO aus der Warte ihrer zahlreichen Partnerschaften in Betracht gezogen werden, die seit dem Gipfel von Warschau im Juli 2016 neu belebt wurden. Die NATO und die EU tauschen seitdem in Echtzeit Warnungen zu Cyberattacken aus, nehmen wechselseitig an ihren Übungen teil und kooperieren bei ihrer Antwort auf die Flüchtlingskrisen. Die militärische Mobilität, ein wesentliches Kapitel bei der Zusammenarbeit der beiden Organisationen, rechtfertigt sogar die Teilnahme der USA, Kanadas und Norwegens an einem spezifischen PSC-Projekt.

b) USA, Vereinigtes Königreich, China, Indopazifik, Afrika

Joe Biden hat die Mehrzahl der von der EU kritisierten Entscheidungen zurückgenommen. Die Qualität der Beziehungen zu den USA ist wieder hergestellt, aber bestimmte Konstanten laden dazu ein, den USA nicht blind hinterherzulaufen : Schwerpunkt Asien und der Willen, ihren Ansatz gegenüber China durchzusetzen, Förderung einer Integration von Fähigkeiten in der NATO, die dem eigenen militärisch-industriellen Komplex zugutekommen (zuungunsten der EDTIB), wirtschaftliche Konkurrenz, extraterritoriale Sanktionen, ITAR-Auflagen...

Ohne auf eine privilegierte Bindung im Bereich Sicherheit und Verteidigung mit dem Vereinigten Königreich zu verzichten, muss man dennoch die nach dem Brexit noch vorhandene Motivation für europäische Mechanismen eines vor allem auf die transatlantische Achse setzenden Landes realistisch einschätzen. Dessen letzter strategischer Review wurde mit dem Fokus auf die NATO und die USA erstellt. Außerdem versucht das Vereinigte Königreich, in die Allianz die Problematik der Resilienz hineinzutragen, die die EU unbedingt selbst behandeln will.

China stellt für die EU eine zunehmende Herausforderung dar, insbesondere was das Thema Resilienz anbelangt: digitale Souveränität, Desinformation, industrielle Kapazität, Wettbewerbsfähigkeit, Marktzugang, Risiko der Verweigerung des Zugangs zu Schifffahrtswegen, insbesondere in den Meerengen. Der ursprüngliche Enthusiasmus der Mitgliedstaaten des 17+1 Formats geht beständig zurück. Zunehmend bricht sich die Überzeugung Bahn, dass man nur gemeinsam bestehen kann gegenüber China, das gleichzeitig als Rivale, Konkurrent und Partner beschrieben wird und einer zunehmenden Hybris unterliegt . Es wäre jedoch ein Fehler, die chinesische Frage“ lediglich mittels der NATO behandeln zu wollen, mit dem Risiko einer amerikanischen Einmischung in die Handelspolitik der EU. Letztere muss somit sehr schnell eine strategische Linie definieren, der die Forderung einer Reziprozität in wirtschaftlichen Fragen zugrunde liegt. Dann könnte es passieren, dass China an den ehemaligen Präsidenten Trump als Motor der Geopolitisierung“ der EU anknüpft.

Der Indopazifik bietet der EU letzten Endes einen anderen Ansatz gegenüber China, das ihr möglicherweise gewisse maritime Zugangswege in einer Zone verweigert, die 60% der Weltbevölkerung sowie eine Reihe besonders dynamischer BIPs auf sich vereint. Aber ein so komplexer Sachverhalt der Sicherheit und Verteidigung kann im Rahmen der NATO sicher adäquater behandelt werden , in Zusammenarbeit mit den Seemächten USA und Vereinigtes Königreich und mit dem Risiko, die politische Autonomie der EU gegenüber China zu reduzieren.

Darüber hinaus muss die EU einen afrikanischen Schwerpunkt“ bekräftigen, dank dessen in einem immer stärker umkämpften Kontext (China, Russland, Türkei) eine verstärkte Kooperation angestrebt wird - zwecks Konsolidierung der Institutionen, Schaffung von Infrastrukturen, Bildung und Kampf gegen die durch die Krise verstärkte Armut zugunsten von mehr Wachstum, Sicherheit, Kampf gegen Terrorismus und Bemeisterung der Emigration.

II. EIN KOMPASS, DER SICH VIELLEICHT ZU STARK AM WESTEN ORIENTIERT

A. DIE RÜCKKEHR EINES ATLANTISCHEN TROPISMUS...

1. Die neuerliche Glaubwürdigkeit der NATO angesichts einer GSVP mit einem reduzierten Potential, wegen des Brexits...

Die Wahl von Joe Biden und die Ankündigung, dass die USA erneut ihre Rolle als Weltgendarm übernehmen, im Rahmen einer NATO, die ihre Schutzfunktion der Alliierten bekräftigt hat, vermittelten ein Gefühl von Sicherheit. Auch die Nominierungen von Antony Blinken sowie von Karen Donfried als Assistant Secretary for European and Eurasian Affairs wurden in der gesamten Europäischen Union begeistert aufgenommen. Die europäischen Entscheider fühlten sich bestätigt, da ihnen in der Regel daran gelegen ist, erneut an die Tradition der transatlantischen Beziehungen anzuknüpfen.

Im Vergleich zur Situation vor Trump stellt der Brexit ein zusätzliches Argument für die NATO dar , da das Vereinigte Königreich der Alliierte mit den höchsten Verteidigungsausgaben ist (60 Mrd. $), nach den USA (785 Mrd. $), aber vor Deutschland (56 Mrd. $) und Frankreich (50 Mrd. $). Die EU-Länder kommen nur noch auf ein Fünftel der Verteidigungsausgaben der NATO-Staaten .

2. ... wegen der Gesundheitskrise und der damit verbundenen Mehrausgaben...

Die Gesundheitskrise hat zu enormen Ausgaben zwecks Stützung der Wirtschaft geführt und gleichzeitig in punkto Sicherheit die Aufmerksamkeit auf das untere Spektrum und die Resilienz gerichtet. Damit verlassen sich die EU-Alliierten stärker auf die NATO bezüglich des oberen Spektrums, umso mehr als sie zu Haushaltsanpassungen gezwungen sind . Sie könnten so auf Fähigkeiten und operative Maßnahmen verzichten, die wahrscheinlich nicht durch eine bessere Koordinierung kompensiert werden.

3. ... und wegen politischer Konstellationen, die sich möglicherweise weniger günstig entwickeln

Die Wahlen in Deutschland im September 2021 und in Frankreich im Frühjahr 2022 belasten die Mobilisierung der EU hinsichtlich Sicherheit und Verteidigung . In Deutschland können die Wahlen zu einer neuen Koalition mit den Grünen führen, die in der Vergangenheit stärker gegen bewaffnete Interventionen waren und sich gegenüber China und Russland möglicherweise weniger nachgiebig zeigen - ganz im Sinne der USA.

B. ... TROTZ EINER IMMER ANSPRUCHSVOLLEREN UND KOMPLEXEREN KOORDINIERUNG MIT DER NATO

1. Potentiell unterschiedliche geostrategische Absichten

China stellt vor allem für die USA (die bei der NATO den Ton angeben) eine große Bedrohung dar, nicht für die EU . Die wirtschaftlichen und strategischen Interessen der Europäischen Union können eine Zusammenarbeit rechtfertigen, auch mit Russland, die von den USA jedoch missbilligt würde. Während im Gegenzug die Türkei, gegenüber der die EU mögliche Maßnahmen ergreifen könnte, Teil der NATO ist, die nicht einen Alliierten mit einer geographischen Positionierung, die von den USA als strategisch angesehen wird, verprellen möchte.

2. Die Unantastbarkeit des Schutzschirm der NATO“

Joe Biden verfügt im Kongress über eine sehr knappe Mehrheit, insbesondere im Senat, was ihn bezüglich seiner internationalen Politik schwächt und hinsichtlich der zukünftigen Wahlen Anlass zu Sorge gibt. In etwa einem Jahr stehen die midterm- Wahlen an und in etwas über drei Jahren die nächsten Präsidentschaftswahlen.

Die über die NATO wiedererlangte pax americana könnte sich als weniger dauerhaft erweisen als erhofft. Sie sollte als Chance angesehen werden, da sie der EU Zeit verschafft, um ihre Sicherheit besser zu organisieren.

3. Die unmittelbar bevorstehende Perspektive des großen Sprungs nach vorn“

Die NATO bekräftigt ihre hochgesteckten Ambitionen, die insbesondere in der Agenda NATO 2030 festgeschrieben sind , die am 14. Juni 2021 von den Alliierten in Brüssel verabschiedet wurde. Seit einigen Monaten entwickelt die NATO eine 360-Grad-Verteidigungsstrategie , die in diesem Dokument zusammengefasst wird.

Die Agenda empfiehlt die Anwendung von Artikel 5 im Falle einer Cyberattacke , muss dies jedoch weiter präzisieren . Diese Handlungen können von Ländern verursacht werden, gegenüber denen die Risiken und Ziele der EU und der USA differieren und deren Identifizierung im Übrigen mit Vorsicht zu bewerten ist. Dabei werden die Resilienz im weitesten Wortsinn aufgefasst und den Alliierten sogar gegebenenfalls Ziele vorgegeben, deren Umsetzung Gegenstand eines Follow up ist.

Wenn sich die von der Agenda eröffneten Perspektiven sämtlich erfüllen , könnte die von der EU zu schaffende Resilienz eventuell im Schatten einer von der NATO kontrollierten Resilienz enden, genauso wie die PSDC ihr Dasein neben der Allianz fristet. Was dabei durch die unermessliche Stärke der amerikanischen Armee erklärt werden kann, wäre in Anbetracht der Mittel der EU in diesem Fall nicht zu rechtfertigen .

4. Die Oberhand der NATO hinsichtlich der Fähigkeiten

Die im Vergleich zum NDPP ( Nato Defence Planning Process ) weniger auf Vorgaben und Anreizen basierende europäische Fähigkeitsplanung wird weniger streng befolgt , insbesondere seitens der Mitgliedstaaten, die über kein Finanzierungsprogramm für die Verteidigung verfügen und ihren Militärhaushalt allein auf dieser Basis bestreiten.

Damit stellt sich die Frage nach der Kohärenz des Engagements der Staaten in der EU und der NATO . 38 von 47 PESCO-Projekten entsprechen mehr oder weniger den Prioritäten der NATO. Die NATO ist jedoch nicht gehalten, mittels des NDPP ein Recht auf Einsicht in die innerhalb der EU eingegangenen Verpflichtungen zu genießen. Darüber hinaus könnte ein Übertragen der dank der PESCO entwickelten europäischen Standards und Normen auf die Normen und Standards der NATO die Schaffung einer EDTIB in Gefahr bringen. Die Tatsache, dass die Finanzierungen des FED europäischen Projekten vorbehalten sind, erweist sich dabei als teilweiser Schutz. Die Agenda erwägt jedoch die Einführung eines NATO-Fonds für Innovation .

5. Die Gleichzeitigkeit strategischer Überlegungen

Der strategische Kompass , der die Beziehungen zur NATO aus der Perspektive einer Partnerschaft sieht, versteht sich nicht als lokale Variation des strategischen Konzepts“, an dem die Allianz arbeitet. Im Prinzip sind die Überlegungen ebenso wie der Zeitpunkt für deren Abschluss zeitlich verschoben, da das strategische Konzept im Sommer 2022 veröffentlicht werden soll. Die zeitliche Planung erfolgte bewusst, damit der strategische Kompass keinen entsprechenden Einflüssen unterliegt. Im Rahmen ihrer Strategie NATO 2030 stellt die NATO jedoch auf Betreiben ihres Generalsekretärs zahlreiche Arbeiten und Überlegungen an. Laut Aussage einiger Beobachter wirkt dies wie ein Wettlauf auf Zeit. Aufgrund der dabei gewählten Optionen besteht somit das Risiko, den Strategischen Kompass nachhaltig zu beeinflussen - was im Übrigen dem Wunsch von Ländern wie Polen oder bestimmten baltischen Staaten entsprechen würde. Ein politischer Dialog zwischen dem HR/VP und dem Generalsekretär der NATO wäre somit hilfreich, um die notwendige Kohärenz zwischen beiden Ansätzen herzustellen und gleichzeitig die Autonomie des Strategischen Kompasses zu gewährleisten. Bisher deutet jedoch nichts auf einen solchen Dialog hin.

III. EIN ZUNEHMEND MIT RISIKEN BEHAFTETER STRATEGISCHER KOMPASS

Ein Scheitern des Strategischen Kompasses wäre für die GSVP sehr problematisch : die Erfahrung zeigt, dass Desillusionen diesbezüglich jegliche Chancen für Fortschritt auf Jahre hinweg vereiteln. Daher müssen wir an dieser Stelle unser Bedauern bezüglich der Methode äußern: die Konzertierung und die Diskussionen zum Strategischen Kompass sind nicht auf die Parlamente ausgeweitet worden. Bei dessen Kommunikation gegenüber den europäischen Bürgern bringt man den Strategischen Kompass somit um eine wichtige Dimension der Bereicherung und der Vertiefung. Dieses Versäumnis wird sich beim Abschluss des Prozesses Anfang 2022 möglicherweise rächen .

A. DAS RISIKO EINES WENIG AMBITIONIERTEN DOKUMENTS

Die angekündigte Bekräftigung und Stärkung der atlantischen Sicherheitsgarantie wirkt sich auf die Ambitionen der meisten Mitgliedstaaten hinsichtlich der GSVP aus. Die Analyse der Bedrohungen, für die sie politisch bereit sind einzustehen, könnte sich auf die Formen beschränken, zu denen der größte Konsens besteht, wie beispielsweise hybride und technologische Bedrohungen. Dies würde die Resilienz zuungunsten eines Krisenmanagements befördern und bei den Fähigkeiten lediglich auf die industrielle und technologische Dimension setzen. Damit wären für die GSVP zwei Jahre verloren, die für die Erstellung des Strategischen Kompasses aufgewendet wurden . Dazu kämen dann eventuell noch die darauffolgenden Jahre, während derer der strategische Kompass weiterhin als verpflichtend für die Mitgliedstaaten präsentiert wird.

Eine Nicht-Umsetzung des Strategischen Kompass könnte nuanciert - und rechtfertigt - werden dank verpflichtender Maßnahmen zur Verbesserung der nicht-exekutiven zivilen oder militärischen Missionen , die Deutschland gegenüber den exekutiven Missionen präferiert. Dabei gilt es jedoch, jegliche Überlegungen abzuwehren hinsichtlich des Rückgriffs auf das Militär innerhalb der Grenzen, um im Namen der Resilienz eine Rolle als Generalist zu spielen und sich somit auf Dauer von den eigentlichen Aufgaben abzuwenden.

B. DAS RISIKO EINES ALLEIN AUF DIE BEDÜRFNISSE DER NATO ZUGESCHNITTENEN DOKUMENTS

Es besteht das Risiko, ein Dokument zu erarbeiten, das dem strategischen Konzept der NATO angepasst wird. Der Kompass würde keinerlei Vorschläge enthalten, die als Duplizierung der Mittel der NATO oder als Emanzipation von deren Ambitionen verstanden würden, sowohl in militärischer Hinsicht als auch bezüglich Resilienz. Die Erwartungen an den Kompass wären vor allem mit einer Vertiefung der Partnerschaft zur NATO verknüpft.

Es steht zu befürchten, dass das Niveau der Ambitionen des Strategischen Kompasses zumindest teilweise von den USA abhängig ist . Die von ihnen ausgesandten Signale hinsichtlich des Grads einer möglichen Autonomie der EU werden vor allem von den Atlantikern unter den Mitgliedstaaten bis zum Abschluss des Prozesses aufmerksam interpretiert.

C. DAS RISIKO EINES AMBITIONIERTEN DOKUMENTS, DAS JEDOCH NUR WENIG WIRKUNG ZEIGT

Das Schlussdokument könnte durchaus interessante Perspektiven eröffnen, insbesondere im Zusammenhang mit Resilienz bezüglich strittiger Zonen, deren Fortbestand organisiert werden muss. Hinsichtlich der GSVP würde die von Josep Borrell unterstützte erste Vorauskraft einen wesentlichen Durchbruch darstellen, der durchaus akzeptabel wäre, wenn er darauf zugeschnitten ist, jegliche Duplizierungen zu vermeiden, an denen die NATO oder die USA Anstoß nehmen könnten.

Aus diesem Grund muss ein Follow up-Mechanismus sowie eine bessere politische Behandlung gewährleistet sein, was einem der wichtigsten französischen Anliegen entspricht.

D. DAS RISIKO EINES DOKUMENTS, DAS SICH IM KRISENFALL ALS RESTRIKTIVES KORSETT ERWEIST

Die Corona-Krise hat gezeigt, dass die EU in einer Krise sehr wohl in der Lage ist, politischen Willen zu zeigen . Ein stark formalisiertes Dokument, insbesondere hinsichtlich von Mindestfähigkeiten zum Handeln, könnte sich daher im Krisenfall als kontraproduktiv herausstellen . Dieses Argument gilt für die Beziehungen zur NATO, die durch den Kompass nicht in ein zu starres Korsett gezwängt werden dürfen. Eine geringere Flexibilität in unseren Beziehungen zu Russland, der Türkei, China und bestimmten Ländern Nordafrikas wäre ebenfalls von Nachteil. Dank einer Aktualisierung des Strategischen Kompasses aller 5 Jahre könnte dieser an die geostrategische Realität angepasst werden, indem gleichzeitig die vorgenannten Risiken limitiert werden.

E. DAS ZUSÄTZLICHE RISIKO, DASS FRANKREICH ALS WEICHENSTELLER WAHRGENOMMEN WIRD

Frankreich ist sicher in Sorge bezüglich seines Ratsvorsitzes, wenn der strategische Kompass die in ihn gesetzten Erwartungen enttäuscht, darf jedoch nicht seiner Neigung für spektakuläre Erklärungen und Werbung für neue Konzepte erliegen . Im gegenteiligen Fall würden lediglich die Partner Frankreichs brüskiert und der gesamte Prozess beeinträchtigt.

Aber Frankreich vermag es weiterhin, sich Gehör zu verschaffen und mit seinen Analysen Aufmerksamkeit zu erzielen. Somit muss Frankreich für seine Überzeugungen einstehen, diese erklären und versuchen zu überzeugen - im Interesse sämtlicher Mitgliedstaaten der Union .


* 1 Bericht des Senats Nr. 626 (2018-2019), Juli 2019.

* 2 Operational Headquarters : Hauptquartiere auf operationeller Ebene, eine andere Bezeichnung für einen Militärstab für die operationelle Planung (Durchführung, Planung und Organisation militärischer Missionen). Ein mit dieser Rolle als OHQ betrauter MPCC ist zwischen dem EUMS, für Konzepte auf europäischer Ebene zuständig, und dem Militärstab, der die Operation vor Ort leitet, positioniert.

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